Wir befinden uns in Dettmannsdorf, und genau dort gab es am 9.8.2020, einem Sonntag, eine Lesung. Carmen Gauger las aus ihrem Roman „Schwesternschere“ und Nora Gauger spielte dazu Musik. Diese Kombination ergibt eine schöne Veranstaltung in Zeiten von Corona. Wo lässt es sich besser lesen als draußen? Zumindest wenn es nicht superheiß und 38 Grad ist, sondern gemäßigt. Dazu kommt der Wald als kühlender Grund. Carmen Gauger bat darum, dass man Klappstühle mitbringen möge. So geschah es dann, an einem Sonntag, Waldesruh 1 lautet die Adresse. Landkreis Vorpommern-Rügen. Die Gemeinde Dettmannsdorf liegt südwestlich von Ribnitz-Damgarten am Tal der Recknitz. Die Autorin wird in den nächsten Monaten noch weitere Lesungen abhalten. An anderen Orten, gewiss auch drinnen, wenn Corona das erlaubt.
Schwesternschere
Eine verletzte Familie. Roman
Eine Familie namens Röder. Etwas zerstört den Gleichklang. Tochter Milda studiert. Verlässt auch die Heimat, das Vogtland. Schwester Liane aber bleibt dort in jenem kleinen Ort namens Schacht. Noch zu Lebzeiten der Eltern ist der Schnitt bei den vieren schon da. Liane hat die eine Haus-Hälfte vorab. Milda sollte immer die andere Hälfte bekommen. Sie, nun Lehrerin und Chorleiterin, aber 500 Kilometer weit weg wohnend. Die DDR gehört jetzt zum Westen, die Menschen ändern sich, so vieles vergeht.
Alles kreist in dieser Geschichte symbolisch um das Erbe. Milda schreibt im Roman auf, was sie „erfährt“, wie man sie verdrängt, wie die Eltern von der Tochter Liane vereinnahmt werden. Das ist mehr als ein Familienroman. Das ist eine Erkundung des Menschen und seiner vielfältigen Abgründe. Was ist mit … und was wurde aus den Werten?
Zugleich geht es um ganz große, bisweilen um ganz banale Dinge: Gefühle, Herkunft, Beziehungen, Besitz, Utopien, Neid, Familienbande. Tod. Wer wuchs wie auf? Wurde dann was? Strebt wonach? Der Roman beschreibt die neuen Schnitte in einer Familie, mit vielen Ereignissen, mit Rückblicken auf die Generationen davor. Alles ist drin. Fast schon ein Vogtland-Epos.
Liane zickt; Milda versteht die Welt nicht mehr. Das sind diese Schwestern, die auseinanderdriften, weil die eine, die Dagebliebene, so anders geworden ist. Und weil zugleich die im Norden eine neue, offenere Weltsicht bekommen hat.
In diesem Buch ist aufgeschrieben, was eine Kernfamilie vereint, was sie spaltet. Dazu das Geflecht von Geschwistern, Tanten und Onkeln, Großeltern, die Kinder, auch die vielen Treffen, gepaart mit allerlei Hoffnungen und Enttäuschungen. Bis zum Ende sind da die Fragen. Und dieses ureigentlich so unwichtige, einfache Erbschafts-Haus! Und welche Leben sind nun alle auf den Kopf gestellt? Wo herrscht Wut, wo Verzweiflung? Wo Gelassenheit? Milda erzählt es, und wir wollen alles wissen. Das irrwitzige Panoptikum des Lebens in einem berührenden Beispiel.